1927, fertig gestellte Neubauten der „Blauen Heimat“ mit den Gebäuden: Im Stopfelgarten
Blaue Heimat
In den ersten Jahren nach ihrer Gründung im Jahr 1921 verwirklichte die Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz mbh Heidelberg (GGH) mehrere große Wohnbauprojekte in den Stadtteilen Handschuhsheim und Wieblingen. Mit dem „Alten Atzelhof“ wurde bereits Anfang der 1920er-Jahre eine erste Siedlung mit rund 200 Wohnungen und zehn Ladengeschäften in Handschuhsheim fertiggestellt. Der „Neue Atzelhof“ mit weiteren 48 Wohnungen und zwei Läden befand sich im Bau, als 1926 eine zweite große Siedlung in Handschuhsheim in Angriff genommen wurde: die „Wohnbebauung Mühlingstraße“. Dank moderner Bauweise und dem Einsatz neuer technischer Verfahren konnten in nur 100 Tagen rund 100 Wohnungen und drei Ladeneinheiten fertiggestellt werden. Bereits nach kurzer Zeit wurde die Siedlung aufgrund ihrer auffallenden Fassadenfarbe „Blaue Heimat“ genannt. Der zweite Bauabschnitt wurde 1934 abgeschlossen.
1927,Neubauten der „Blauen Heimat“ Mühlingstraße/Hans-Thoma-Straße, Hofseite mit den Neubauten Im Stopfelgarten
Das „Wagnerische Prinzip“
Blaue Heimat, 1927 im Rohbau. Hintergrund Alt Handschuhsheim mit Friedenskirche
Archiv, Blauer Ordner 1
Die Baukosten für die Siedlung beliefen sich auf rund 950.000 Reichsmark, was für die damalige Zeit günstig war. Die Kosten- und Zeitersparnis war in erster Linie auf das „Wagnerische Prinzip“ zurückzuführen. Diese neuartige Bauweise zeichnete sich durch ein Konstruktionssystem aus, das auf einer Eisenbeton- und Eisenkonstruktion beruhte. Das eigentliche Mauerwerk diente lediglich als Füllmasse und Wärmeschutz. So konnten die Rohbauten nicht nur schneller errichtet werden; riesige Gebläse ließen die Mauern auch schneller austrocknen.
1927, Austrocknung der Neubauten der „Blauen Heimat“ Mühlingstraße/Hans-Thoma-Straße
1927,Neubauten der „Blauen Heimat“ Mühlingstraße/Trübnerstraße
Die ursprüngliche „Blaue Heimat“ besteht aus einer Blockrandbebauung entlang der Mühling-, Hans-Thoma- und Trübner-Straße. An der Stichstraße Im Stopfelgarten baute die GGH 1927 zehn Einfamilienhäuser. Torbögen führen auf den weitläufigen Innenhof mit einer großen Rasenfläche. Kurz nach dem Bau der Siedlung befanden sich hier ein Springbrunnen und mehrere Plätze zum Trocknen der Wäsche. Die Küchen der Wohnungen mit ihren Loggien gehen zum Hof hinaus, damit beispielsweise die Kinder beim Kochen beaufsichtigt werden können.
1928 Blaue Heimat nach Fertigstellung der Innenanlagen
Archiv, Blauer Ordner 1
Hoher Wohnkomfort
Die meisten Wohnungen wurden mit zwei und drei Zimmern sowie einer Wohn- und Spülküche und einem Küchenbalkon konzipiert. Ein Bad war nicht vorgesehen, nur die Erdgeschoss-Wohnungen mit eigenem Zugang verfügten – so wie die Museumswohnung der GGH an der Mühlingstraße 16 – über ein Badezimmer. Die Heizung erfolgte über gusseiserne Einzelöfen in den Zimmern und einen Kachelofen in der Küche. Mit ihrer Ausstattung lag die „Blaue Heimat“ ebenso wie der wenige Jahre zuvor entstandene „Atzelhof“ weit über dem damals für den sozialen Wohnungsbau üblichen Standard.
Küche im Standard des sozialen Wohnungbaus um 1925. Rechts Badegelegenheit (Foto: Tiefburgarchiv)
Die Mieterschaft setzte sich in den ersten Jahren überwiegend aus Arbeitern, Angestellten, Beamten und Angehörigen der selbständigen und freien Berufe zusammen. Der Mietpreis lag bei 66 Pfennig pro Quadratmeter.
1927, fertig gestellte Neubauten der „Blauen Heimat“ mit den Gebäuden: Im Stopfelgarten (Foto: Tiefburgarchiv)
Energetische Sanierung
Die in den 1950er-Jahren an der Karl-Philipp-Fohr Straße ergänzten Gebäude wurden 2004 umfassend energetisch saniert. Zu den Maßnahmen gehörten Passivhaus-Komponenten wie dreifach verglaste Fenster, Wärmedämmung sowie eine aktive Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Auf dem Dach wurden Photovoltaikanlagen installiert. Durch die Umgestaltung der Wohnungen, größere Grundrisse und Balkone sowie den Ausbau der Dachgeschosse wurde die Wohnqualität gesteigert. Viele Mieter, die während der Sanierungsphase mithilfe des Umzugsmanagements der GGH in andere Wohnungen gezogen waren, kehrten nach der Fertigstellung in ihre alten Wohnungen zurück.
Museums-Duo
Anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens eröffnete die GGH 2021 ein Museums-Duo mit einer Dauerausstellung und einer Museumswohnung in der „Blauen Heimat“, das die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus erlebbar macht. In der Dauerausstellung an der Mühlingstraße 22 informiert die Wohnbaugesellschaft über die Geschichte Heidelbergs und Handschuhsheims in den 1920er-Jahren. Drei Häuser weiter – an der Mühlingstraße 16 – hat die Gesellschaft eine Museumswohnung eingerichtet. Die Drei-Zimmer-Wohnung gibt einen Einblick in das Leben und die Wohnverhältnisse einer Heidelberger Familie. (zb)
Virtueller Rundgang durch die Museumswohnung (Quelle: GGH)