Handschuhsheim erkunden

Historische Orte im Stadtteil

Bis zum Bau und der Einweihung der Friedenskirche im Jahr 1910 war die in der Nähe gelegene St.-Vituskirche eine Simultankirche, in der sowohl katholische, wie evangelische Gottesdienste stattfanden. Obwohl in dieser Zeit offiziell die Ökumene wenig praktizierte wurde, pflegten beide Gemeinden guten Umgang miteinander, da die Menschen im Alltag in enger Dorfgemeinschaft lebten und aufeinander angewiesen waren.

Dennoch wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr der Wunsch nach einem eigenen neuen Gotteshaus laut. Die Gründe dafür waren in dem schlechten baulichen Zustand des Kirchengebäudes und der raschen Zunahme der Bevölkerung und damit der Kirchengemeinden Handschuhsheims zu sehen, das nach der Eingemeindung im Jahre 1903 noch anwuchs.

Deshalb kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu zahlreichen Vorstößen, die zu einem Vertrag zur Auflösung des Simultaneums, der Klärung der finanziellen Fragen, zur Suche eines geeigneten Bauplatzes und zur Planung des Gebäudes führten.

1907 wurde schließlich die Auflösung vollzogen, Ende 1906 der Bauplatz erworben und 1908 der Grundstein zur neuen Kirche gelegt. Das Gelände erwarb die Kirche von Raban von Helmstatt, dem Eigentümer der Tiefburg, der sich damit von seinem Gutsgelände rund um die Burg trennte. Die Leitung der Baumaßnahmen leitete der erfahrene und angesehene Großherzogliche Oberbaurat Hermann Behaghel (1839-1921), der in der langen Zeit seines Wirkens über siebzig Kirchen und Pfarrhäuser, aber auch eine Anzahl kleinerer und größerer Wohn­häuser und Villen, Umbau und Vergrößerung des Hotels Prinz Carl, den Umbau des „Museums“ am Universitätsplatz, die Landhausschule und die Synagoge in Heidelberg geschaffen hat.

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Projektskizze (Abbildung: Friedensgemeinde)

Seit 1904 das 28 Ar große, durch den Durchbruch einer Ver­bindungsstraße zwischen Steubenstraße und Burgstraße und die Erweiterung der Kriegsstraße entstandene, aus dem nordöstlich der Tiefburg gelegenen Garten des Grafen Helmstatt ausgegrenzte Grundstück ernsthaft zur Debatte stand, war Behaghel damit beschäftigt, Pläne auszuarbei­ten: Situationsskizzen zunächst und seit 1905 verschiedene detaillierte Entwürfe zu dem Bauwerk selbst. Das geschah im Austausch mit dem Oberkirchenrat und in ausdrücklich von Behaghel erbetener Abstimmung mit der Kirchenge­meinde. Mithin waren auch eine gute Akustik und eine Größe von ca 1000 Sitzplätzen projektiert.

Allgemeine Zustimmung fand der heute verwirklichte Entwurf mit 1174 Sitzplätzen und der Neuordnung von Altar, Kanzel und Orgel hintereinander auf einer Linie liegend, wie es das Wiesbadener Programm von 1891 forderte. Im Sommer 1907 wurde der Plan mit der Festlegung einer Niederdruckdampfheizung abgeschlossen, 1908 begann mit dem Erdaushub und der Anlage der Fundamente. Festliche Grundsteinlegung war am 14. Juni 1908.

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Innenraum 1910 (Foto: Friedensgemeinde)

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Innenraum 1910 (Foto: Friedensgemeinde)

Die Fenster wurden 1909/10 entworfen und von der renommierte Heidelberger Glasmalereiwerkstatt Beiler sen. Ausgeführt, die Bildfenster unter den Emporen von der Glaskunstwerkstatt Meysen und Beck. Das große Bildfenster verdankte die neue Kirche dem Evangelischen Frauenverein, der dafür eine Sammlung in der Gemeinde veranstaltet hatte. Überhaupt wurden Scheiben und ein großer Teil der Innenausstattung in vorbildlicher Opferbe­reitschaft von Gemeindegliedern gespendet von einzelnen Handschuhsheimer Familien gestiftet.

Insgesamt hat der Bau etwa 400 000 Mark gekostet, eine für damalige Verhältnisse gewaltige Summe, davon hatte die Gemeinde selbst 100 000 Mark aufzubringen, zum Teil mit Hilfe von Haussammlungen und einer 1906 eingeführten Kirchensteuer, vor allem aber durch Anleihe bei der Karlsruher Lebensversicherung A.G.

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Feierliche Einweihung mit badischem Großherzogpaar (Foto: Tiefburgarchiv)

Am 11. Mai 1910 erhielt durch einstimmigen Beschluß der Kirchengemeindeversammlung die neue Kirche den Namen „Friedenskirche“. Sie wurde am 29. Juni 1910 im Beisein des Großherzogs Friedrich II. von Baden, der nach damaliger Verfassung zugleich Landesherr und Landesbischof war, ge­weiht.

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Begrüßungsgedicht zur Einweihung

Dieser Tag und sein reibungsloser Ablauf war sorgfältig vorbereitet worden. Eine Festordnung war gedruckt worden. Verschiedene Ausschüsse hatten sich um die Ausschmückung, um die musikalische Umrahmung, um das Festessen im Bachlenz, den gemütlichen Familiengemeindeabend in der Traube und um ein Festkonzert einige Tage später, des­sen Erlös dem Frauenverein zugutekommen sollte, ebenso gekümmert wie um die süßen Brezeln für die Kinder des Stadtteils und um das Kinderfest, das bei gutem Wetter am nächsten Tag in der Dossenheimer Landstraße stattfinden sollte. Anlässlich der Festlichkeiten verkehrte erstmals ein neuer geschlossener Wagentyp der Heidelberger Straßenbahn.

Es folgten die unruhigen Jahre der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nationalsozialisten, von der auch Kirche und Arbeit der Pfarrer nicht unbeeinflusst blieben. Nach der auch für die Kirchen schwierigen Zeit des Zweiten Weltkriegs fanden viele Flüchtlinge nach 1945 Aufnahme in die Gemeinde.

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Zustand nach Renovierung 1960 (Foto: Friedensgemeinde)

Die Friedenskirche war über all dem in die Jahre gekommen. Reparaturen wurden nötig. Einiges vom Althergebrachten entsprach auch nicht mehr dem Geschmack und dem Bedürfnis der ge­wandelten Zeit. So erlebte der Bau zu seinem 50. Geburts­tag 1960 eine umfassende Innenrenovierung unter Oberbau­rat Hermann Hampe. Damals wurde nach langem Überle­gen die Kirche umgestaltet mit hellerem An­strich, einem dunklen Schieferplattenbelag im Altarraum, moderneren Lampen und vor allem mit der großen Konzertorgel der Firma Walcker und den neuen Prinzipalstücken (Altar, Kanzel und Taufstein) von Edzard Hobbing in ihrer veränderten Anordnung (die Kanzel wanderte auf die linke Seite, das Taufbecken auf die rechte Altarseite). Auf ausdrücklichen Wunsch Hampes blieben die Glasfenster der Erbauungszeit erhalten mit Ausnahme der kleinen Wappenfenster neben dem Haupt­eingang. Hier wurden die Fensteröffnungen vergrößert. Die Gefallenentafeln wurden vom Chorbogen abgenommen und an der Außenseite der Kirche neben dem Turmeingang in die Wand eingelassen, zusammen mit einer schlichten Mahn- und Gedenktafel für die Toten des Zweiten Welt­krieges.

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Außenrenovierung (Foto: Tiefburgarchiv)

Anfang der siebziger Jahre wurde dann auch der Außenbau einer gründlichen Renovierung unter der Leitung von Architekt Hermann Pollich unterzogen. Vor allem mußten die Dächer neu gedeckt, die Steine gereinigt und der ganze Bau neu getüncht werden. Am ursprünglichen aüßeren Eindruck hat sich dadurch nichts wesentlich geändert. Lediglich die Ziffer­blätter der Turmuhr wurden modernisiert und die gotische Fialenrahmung der Uhr entfernt. 1981 schließlich wurde dem Bau am nordwestlichen Nebeneingang eine Rampe für Rollstuhlfahrcr angefügt. 1984 wurden die großen Glasfenster von Peter Meysen, in der selben Werkstatt in der Sandgasse, in der sie einmal entstanden sind, restauriert.

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Innenraum nach Neuanstrich (Foto: Friedensgemeinde)

Weitere 50 Jahre nach der ersten großen Renovierung stand in den Jahren um 2010 eine weitere Umgestaltung an, die in den Jahren der Planung und Durchführung durch das Heidelberger Architektenbüro Loebner, Schäfer und Weber zu Diskussionen und Konflikten in der Gemeinde führte. Vor allem die Umgestaltung des Innenraums war umstritten: die Öffnung der „Lettner-Wand“ hinter dem Altar zugunsten einer offenen und hellen Stufenanlage im Altarraum, der moderne Altar und dem Kanzelpult, die programmatisch die Prinzipalien wieder in die Linie der ursprünglichen Kirchenanlage rückten sowie die Ersetzung der Kirchenbänke durch Einzelstühle. Nach der feierlichen Einweihung zum Erntedankfest im Jahr 2012 sind die Diskussionen über die Umgestaltung weitgehend abgeebbt.

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Innenraum 2012 (Foto:GG)

Trotz aller Änderungen ist die Friedenskirche zu aller Zeit Mittelpunkt einer lebendigen Gemeindearbeit und reichhaltiger und niveauvoller Kirchenmusik geblieben. (gg)

Friedenskirche